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Was bedeuten „proximal“ und „distal“ in der Bypass-Chirurgie?

Medizinische Begriffe erlärt Symbolbild

Grundsätzlich werden bei jeder Technik der Bypass-Chirurgie (Gastric Bypass, Duodenal Switch, bilio-pankreatische Diversion) Abschnitte des oberen Magen-Darmtraktes, d.h. der Löwenanteil des Magens, der Zwölffingerdarm mit den dort einmündenden Gallen- und Bauchspeicheldrüsengängen, sowie obere Anteile des Dünndarmes aus dem Nahrungsdurchfluss ausgeschaltet, bzw. umgangen, oder „gebypasst“.

Dazu wird ein je nach Technik unterschiedlich grosser, oberer Magenanteil (der Pouch) vom übrigen Magen abgetrennt. Danach wird der obere Dünndarm nach genau definierter Abmessung durchtrennt, und das untere Schlingenstück wird vorne hochgezogen und mit dem Pouch zusammengehängt. Das obere Schlingenstück wird weiter unten wieder seitlich mit der hochgezogenen Schlinge vereinigt. Der Dünndarm erscheint nun nicht mehr als einziges gewundenes Rohr in I-Form, sondern präsentiert sich am Ende in Y-Form. Je nach Bypass-Typ sind die Längen der drei Schenkel des Y unterschiedlich lang, die Grösse des Pouch variiert und der genaue Ort wo Pouch und hochgezogene Schlinge vereinigt werden ist verschieden.

Es variiert auch der Ort, wo der linke Schenkel des Y mit dem geraden rechten Stück vereinigt wird. Liegt diese Stelle weit oben, nahe dem Pouch, spricht man von einem „proximalen Bypass“. Das resultierende Y erhält dadurch einen sehr langen unteren Schenkel. Liegt dieser Punkt hingegen weit unten, nahe dem Übergang des Dünndarms in den Dickdarm, sprechen wir von einem „distalen Bypass“. Das Y hat folglich nur noch einen sehr kurzen unteren Schenkel. Durch den oberen Schenkel rechts fliesst die Nahrung und durch den Schenkel links fliessen die Verdauungssekrete (Magensaft, Gallensaft, Pankreassekret und Zwölffingerdarmsekrete) ab. Erst im unteren Schenkel sind Nahrungsbrei und Verdauungssäfte wieder vereint, weshalb dieser Schenkel auch als „gemeinsamer Kanal“ bezeichnet wird. Proximale Bypass-Formen haben einen langen, distale einen sehr kurzen gemeinsamen Kanal.

Je länger der gemeinsame Kanal, umso ähnlicher sind die Verdauungsvorgänge dem natürlichen, nicht-operierten Dünndarm. Je kürzer der gemeinsame Kanal gestaltet wird, umso weniger Zeit steht den Verdauungssäften zu Verfügung, den Nahrungsbrei aufzuschliessen oder zu „digerieren“, und umso weniger Darmoberfläche steht noch bereit, um die aufgeschlossenen Nahrungsbestandteile aufzunehmen, zu absorbieren. Distale Bypass-Formen (distaler Gastric Bypass, Duodenal Switch, bilio-pankreatische Diversion nach N. Scopinaro) haben wegen des kurzen gemeinsamen Kanals eine stark wirksame „mal-absorptive“ Komponente. D.h. ein beträchtlicher Teil der Nährstoffe, v.a. Fette und Eiweisse gelangen deshalb in den Dickdarm, wo sie von den Darmbakterien zersetzt (Blähungen, Flatulenz), oder ungenutzt mit dem Stuhl (Fettstühle) ausgeschieden werden. Damit kann man zwar mehr Gewicht abnehmen, aber es wächst auch das Risiko von schweren, mitunter nicht wieder gut zu machenden Mangel-Zuständen. Beim proximalen (Standard) Bypass nach E. Mason sind diese Gefahren und „Nebenwirkungen“ um ein Vielfaches geringer, aber auch die Gewichtsreduktion ist bescheidener.

Beim distalen Bypass-Typ ist die lebenslange und kompromisslos tägliche Einnahme hoch-dosierter Vitamin- und Spurenelement-Präparaten für die Gesunderhaltung zwingend. Mitunter müssen einzelne Mikronährstoffe auch gespritzt werden. Ein proximaler Bypass verzeiht gelegentliche Disziplinmängel eher, aber natürlich auf Dauer auch nicht. Beim proximalen Bypass liegt die tolerierte Gesamtmenge von Nahrungsfetten mit 70-80g/Tag höher als beim distalen Bypass, dessen Aufnahmefähigkeit bei 50-70g/Tag schon erschöpft sein kann, so dass Blähungen, Bauchkrämpfe, übelriechende Flatulenzen und Fettdurchfälle das Alltagsleben erschweren.

Wer mit welchem Bypass-Typ behandelt werden muss, das ergibt sich aus den Resultaten der interdisziplinären Vorabklärung. Lebensalter, Geschlecht, Schweregrad der Adipositas, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Ess-Störungen und der Vorzustand von Speiseröhre und Magen sind dabei entscheidend. (Dr. med. Renward S. Hauser)

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